In Indiens Nordosten gibt’s mehr als Tee

Der Grenzübergang von Nepal zurück nach Indien verlief auf indischer Seite wie gewohnt chaotisch aber schliesslich reibungslos. Die Grenzübergänge zwischen Indien und Nepal gleichen eher kleinen Dörfern mit Restaurants und Bars. So ist es teils schwierig die indischen Offiziellen zu finden. Von der Grenze fuhren wir auf direktem Weg über enge, kurvige Bergsträsschen nach Darjeeling. Die Stadt liegt auf rund 2100m im Vorder-Himalaya. Sie ist für die Schmalspureisenbahn «Darjeeling Himalayan Railway» und weltweit für den Anbau des berühmten Tees bekannt. In der Innenstadt, die an einen Hang gebaut ist, fanden wir kein Plätzchen, um im Auto übernachten zu können. Gegen Abend fuhren wir deshalb zum Tiger Hill, welcher einige Kilometer von Darjeeling entfernt ist. Von dort soll man bei klarer Sicht einen Blick auf den Mount Everest und den Kangchendzönga, der zu den höchsten Bergen der Welt gehört, haben. Am nächsten Morgen während des Frühstücks hatten wir klare Sicht auf die Berge. Am Abend kamen dann leider noch die Park Ranger und wollten uns vertreiben. Wir könnten hier nicht schlafen, weil der Tiger Hill ein Tierschutz Reservat sei. Das ganze Gebiet war jedoch ziemlich vermüllt. Überall lagen kaputte Glasflaschen, Abfall und Bauschutt. Die Nacht hindurch kamen Einheimische und veranstalteten bis zum Morgengrauen Parties mit lauter Musik. Die Tiere haben sich wohl kaum an uns gestört. Wir machten den Rangern klar, dass wir im Dunkeln heute Abend nirgends mehr hin fahren würden. Nach einigem Hin und Her meinten diese, sie würden ihren Chef holen gehen. Zu unserem Glück war der Chef nachsichtig oder hatte besseres zu tun. An diesem Abend sahen wir ihn jedenfalls nicht. Am nächsten Morgen zogen wir jedoch so schnell wie möglich weiter.

Unser Weg führte uns durch Assam. Ab dem späteren Nachmittag hielten wir Ausschau nach einem Schlafplatz. Das war nicht ganz einfach, überall waren Leute und das Land wurde bewirtschaftet. Als es schon dunkelte, fuhren wir an einem kleinen Wäldchen vorbei. Wir fanden einen Weg hinein und schlugen unser Nachtlager auf. Einige Minuten später waren wir umzingelt von einer Bande Jugendlicher. Die machten uns zu verstehen, dass wir hier nicht bleiben sollen, weil es zu gefährlich sei. Wir verstanden nicht, was das Problem war, doch die Situation wurde uns zu umständlich. So packten wir wieder zusammen und zogen weiter. Ziemlich ratlos entschieden wir uns, zur einer Kirche zu fahren und in der Nähe zu parken. Nachdem wir gekocht hatten, versammelten sich immer mehr Dorfbewohner um uns herum. Wir merkten schnell, dass sie uns gut gesinnt waren. Mit ihren Taschenlampen leuchteten sie immer wieder ins Feld und wirkten nervös. Nach einiger Zeit erschien eine junge Dame, mit der wir uns auf Englisch unterhalten konnten. Sie erklärte uns, dass die Dorfbewohner um unserer Sicherheit besorgt seien. Es gäbe hier böse Männer. Nach einigem Hin und Her versicherten sie uns, dass es kein Problem gäbe. Anscheinend waren sie aber doch zu besorgt um uns, und verständigten die Polizei. Wenig später tauchte ein Polizeifahrzeug auf und mehrere Polizisten sprachen mit uns. Sie waren freundlich und meinten, sie würden uns in der Stadt zu einem Platz bringen, wo wir im Auto schlafen könnten. Es gäbe in der Gegend Probleme mit diversen Banden. Vor kurzer Zeit sei ein junger Mann verschwunden. Die Dorfbewohner würden davon ausgehen, er sei entführt worden. Was die genaue Sorge war, wissen wir immer noch nicht genau. Wir lasen von verschiedenen bewaffneten Banden, die in der Region tätig seien. Nach dieser anstrengenden Nacht beschlossen wir Assam fürs Erste zu verlassen.

Meghalaya ist keine Metalband, sondern ein indischer Bundesstaat südlich von Assam in der Grenzregion zu Bangladesch. Meghalaya bedeutet in Hindi Heimstätte der Wolken. Die Mehrheit der Leute in diesem Bundesstaat gehört dem Christentum an und die vielen Hügel werden überwiegend von den indigenen Völkern der Khasi und der Garo bewohnt. Meghalaya ist weltweit der einzige (Bundes-)Staat mit einer offiziell matrilinearen Gesellschaft. Diese mutterseitige Abstammungsregel und Familienzugehörigkeit ist verfassungsrechtlich verankert. Die Hügel Meghalayas sind grün und weitgehend mit Dschungel überzogen. Die Gegend ist sogar für Schweizer Verhältnisse sauber und die Leute sind freundlich und zurückhaltend. Wir hatten ein kleines Paradies im chaotischen und dreckigen Indien gefunden. Schon in der Schweiz haben wir von den sogenannten Root Bridges (Wurzel-Brücken) in Meghalaya gehört und wollten diese unbedingt besichtigen. Diese Brücken befinden sich in der Nähe vom Ort Cherrapunji, der bei einer Google Suche zum «nassesten Ort der Welt» ganz oben erscheint. In diesen Hügeln im Grenzgebiet zu Bangladesch lebt das indigene Volk der Khasi. Sie bilden eine Gesellschaft über Mutterlinien, bei denen Abstammung, Familienname und Erbfolge von der Mutter hergeleitet wird. Der Besitz von Grund und Boden liegt nur in den Händen der Frauen. Mit den Wurzeln des Gummibaumes ziehen die Khasi lebende Brücken über ihre Flüsse. Die ausserordentlich freundlichen Dorfbewohner liessen uns auf dem Parkplatz, der Ausgangspunkt zur Wanderung zu zweien Root Bridges ist, schlafen. Am nächsten Morgen bewaffneten wir uns erneut mit einem Bambusstock. Diesmal jedoch nicht als Verteidigung gegen Tiger, sondern als Unterstützung beim Treppensteigen. Der Fluss über den die wohl berühmteste Doppeldeckerbrücke (Doubledecker) gezogen wurde, fliesst auf dem gegenüberliegenden Hügel, der nur zu Fuss über rund 3000 Treppenstufen erreichbar ist. Der anstrengende Weg lohnte sich. Aus Angst, die tiefere Brücke könnte während eines Monsuns überflutet und zerstört werden, bauten die fleissigen Khasi noch eine zweite, höhere Brücke. Und so entstand die Doubledecker, die übrigens über 200 Jahre alt sein soll.

In der Nähe fanden wir ein sehr gemütliches Plätzchen und erholten uns dort einige Tage. Wir campten im Grünen in der Nähe eines Flüsschens und hatten einen wunderschönen Ausblick über Bangladesch. Wir genossen die Ruhe und Einsamkeit. Später besuchten wir noch einen schönen Wasserfall und einen glasklaren Fluss direkt an der Grenze zu Bangladesch. Unser Interesse galt jedoch weniger dem klaren Fluss als der Grenzlinie zu Bangladesch. So wies am steinigen Strand einzig ein Schild auf diese Grenze hin, die Linie selber war nicht erkennbar. So schafften wir es doch glatt für einige Sekunden nach Bangladesch, bis uns das freundliche Militär zurück pfiff.

Auf unserem Weg nach Myanmar machten wir einen kleinen Umweg, um den Kaziranga Nationalpark zu besuchen. Wir wollten dem Tiger nochmals eine Chance geben, sich uns zu zeigen. Wir machten zwei Jeep Safaris in den Park und sahen dabei unzählige Panzernashörner, Wasserbüffel, wilde Elefanten, Hirsche und Vögel in allen Farben. Am zweiten Tag entdeckten wir ein Panzernashorn mit seinem ungefähr dreimonatigen Nachwuchs. Die Beiden standen nur ungefähr 100m von uns entfernt. Der scheue Tiger liess sich aber auch dieses Mal nicht blicken.

Jetzt wurde es Zeit uns von Indien zu verabschieden. Auf dem Weg zur burmesischen Grenze trafen wir Anita und Pädu. Wir kennen die beiden aus Bern und wir starteten unsere Reise fast gleichzeitig; sie sind aber mit dem Rucksack unterwegs. Mit den beiden und ihrem Gepäck machen wir uns auf nach Myanmar. Wir hörten schon von anderen Reisenden von den prekären Strassenverhältnissen. Wir wurden nicht enttäuscht: die «Highways» gehören sicher zu den schlechtesten Strassen die wir gefahren sind. Wir trafen Roman und Zofia und verbrachten unsere zweitletzte Nacht in Indien am Loktak See im Bundesstaat Manipur. Er ist der grösste Süsswassersee im Nordosten Indiens und bekannt für seine Tausenden Phumdis. Phumdis sind runde Inseln aus Pflanzen und anderem organischen Material, die eine mal mehr, mal weniger feste Landmasse bilden. Manche dieser Phumdis auf dem Loktak See sind sogar bewohnt. Wir genossen einen gemütlichen Abend oberhalb des Sees bei einer wunderbaren Abendstimmung. Anita und Pädu begleiteten uns bis nach Myanmar. Es war schön mit Freunden Schweizerdeutsch plaudern zu können.