In Islamabad, der Hauptstadt Pakistans, angekommen, erholten wir uns zuerst einige Tage von der anstrengenden Durchfahrt Balochistans. Als Anja den Benzinkocher – in einer Stahlwanne verbaut – verstauen wollte, rutschte ihr die Kiste aus den Händen und fiel auf ihren grossen Zeh und der Zehennagel konnte nicht mehr gerettet werden. Marcos Schwester, Katja, ist Krankenschwester und half Marco bei der Erstversorgung über Videochat. Danke, Katja, für die Hilfe und sorry für die frühmorgendliche Störung.
Nach einigen Tagen machten wir uns auf in den Norden Pakistans. Wir entschieden, von Islamabad aus nicht den Karakorum Highway (KKH) zu nehmen, sondern über den Babusar Pass zu fahren. Der Pass ist mit 4173 m ü. M. ein Hochgebirgspass in den nordwestlichen Ausläufern des Himalayas und ist während des Winters und Monsuns nicht befahrbar. Wir hatten Glück, der Pass wurde vor einigen Tagen geöffnet. Die Bergstrecke war faszinierend, wir fuhren durch Schluchten, an kleinen Dörfern vorbei und die Temperatur wurde je höher wir kamen immer angenehmer. Nach der heissen Zeit genossen wir dies sehr und freuten uns, wieder einmal unsere Pullover und Jacken anziehen zu können. Wir übernachteten kurz vor dem Pass in Naran, einem Dorf, das nur im Sommer bewohnt ist. Naran ist ein nicht so schöner, touristischer Ort mit vielen Souvenirläden und zahlreichen Hotels. Von der Schweiz sind wir andere Bergdörfer gewohnt, von diesen Vorstellungen müssen wir uns wohl verabschieden. Von Roman unserem österreichischen Freund, der vom Norden her kam und mit dem wir uns in Naran treffen wollten, erfuhren wir, dass der Pass wegen einer Lawine gesperrt sei. Er stand in der Autoschlange kurz vor der Lawine und musste wieder umkehren. Einen Tag später gelang ihm die Durchfahrt und wir hatten ein freudiges Wiedersehen in Naran. Nach einigen Tagen verabschiedeten wir uns. Er und Zofia machten sich auf den Weg nach Indien und wir fuhren früh morgens los um den Pass zu überqueren. Auf unserem Weg in den Norden trafen wir zufällig zwei weitere Schweizer mit ihrem Lastwagen, von denen wir schon viel gehört hatten. Wir tranken einen Kaffee zusammen und verabschiedeten uns dann wieder. Wir wussten, dass der Pass wegen der Lawine nur einspurig befahrbar war und wir wollten einen allzu grossen Stau vermeiden. Oben angekommen waren immer noch Bagger daran, Schnee weg zu schaufeln. Wir mussten deshalb eine Weile warten. Dies war aber kein Problem. So war die Aussicht grandios und die Beobachtung der Pakistanis amüsant. Viele von ihnen waren in ihren traditionellen Kleidern aus dünnem Stoff und Sandalen unterwegs. Gegen die Kälte hatten sie einzig eine Wolldecke umgeworfen. Einige von ihnen sahen wohl zum ersten Mal Schnee und machten Schneeballschlachten.
Auf Facebook lasen wir von einem Polofestival, welches in einigen Tagen auf dem Shandur Pass beim höchsten Polofeld der Welt (3700 m. ü. M.) stattfinden würde. Zu dieser Zeit hörten wir von unseren Freunden in der Schweiz von den vielen Musikfestivals, die sie besuchten, was uns ein wenig wehmütig machte. Wir entschieden, uns das Polofestival in der Hoffnung auf ein wenig Heimatgefühle nicht entgehen zu lassen. Wir hatten Glück: 2019 war das erste Jahr, in dem Ausländer keine Sondergenehmigung brauchten. Auf dem Weg zum Pass übernachteten wir einige Male, um uns an die Höhe zu gewöhnen. Auf 3700 m ü. M. hatten wir die ersten Tage trotzdem Kopfweh und merkten die dünne Luft beim Atmen. Wären noch weitere Symptome hinzu gekommen, hätten wir wegen der Höhenkrankheit, die zum Tode führen kann, umkehren und in tieferen Lagen schlafen müssen. Wieder Erwartens und entgegen dem Gelesenen waren wir fast die einzigen ausländischen Touristen. Das Festival ist schwer zu beschreiben und glich nicht dem, was wir erwartet hatten. Dem staubigen Weg entlang, welcher auch die Hauptstrasse über den Pass war, wurden Essensstände aufgestellt und man konnte warme Kleider kaufen. Zudem wurde leckeres Brot, welches frisch über dem Feuer gebacken wurde, und allerlei Früchte angeboten. Das Festival wurde von extrem vielen Sicherheitsdiensten bewacht. Es gab ein Militärcamp, ein Polizeicamp und ein Camp der Levies (Paramilitär der Stammesgruppen). Weil der Pass zwischen dem Gebiet Gilgit-Baltistan und Khyber Pakhtunkhwa lag, waren sowohl die Levies von Gilgit-Baltistan als auch die von Khyber Pakhtunkhwa anwesend. All diese Sicherheitskräfte machten wohl ungefähr einen viertel der Anwesenden aus. Ansonsten hatte es viele Pakistanis aus der Umgebung, die für das Festival mit ihren Hondas über die schlechte Gebirgsstrasse anreisten und ein Zelt im Gepäck hatten. Der Rest machte die Oberschicht Pakistans aus. Diese reisten mit Geländewagen an und übernachteten wohl weiter unten in einem der Dörfer. Während wir das Gelände erkundeten, sahen wir einen kleinen Fluss oberhalb der Essensstände. Dort wurden Hühner, Ziegen und Schafe geschlachtet und die Schlachtabfälle neben dem Fluss entsorgt. Da wir davon ausgingen, dass die Köche ihre Hände und das Geschirr im selben Fluss wuschen, verging uns der Appetit und wir beschränkten unseren Einkauf auf Früchte und Brot. Wir hatten genügend Vorräte und konnten unser Essen somit selber zubereiten.
Während des Poloturniers massen sich die Mannschaften von Chitral und Gilgit. Das Festival dauerte drei Tage und jeden Tag wurden mehrere Spiele durchgeführt. Das beim Shandur Festival gespielte Polo, sogenanntes Freestyle Berg-Polo, wird hier noch in seiner fast originalen Form gespielt. Die Regeln sind: Es gibt keine Regel. Einzig der Schafkopf als Spielball wurde durch eine Holzkugel ersetzt. Dementsprechend energisch ging es auf dem Feld zu und her. Den stolzen Spielern mit ihren Pferden zuzuschauen, wie sie über das Polofeld der Kugel hinter her sprinten, war hinreissend. Die Energie der Zuschauer packte uns schnell und wir genossen die Atmosphäre sehr. Als ausländische Touristen hatten wir das Privileg, uns in den VIP-Bereich sitzen zu dürfen. Die Aussicht von den oberen Rängen, nicht nur auf das Polofeld sondern auch über die Landschaft, war grandios.
Wir campten etwas abseits des Festivals mit Frank, einem Deutschen, der seit einigen Jahren mit seinem Motorrad unterwegs ist. Wir machten viele pakistanische Bekanntschaften und wurden zu unzähligen Selfies überredet. Wir lernten Mohsin kennen, einen Pakistani in unserem Alter, der die letzten zehn Jahre in Kanada lebte. Mit ihm unterhielten wir uns während dieser Tage oft und er erklärte uns vieles über Pakistan und seine Bewohner. Direkt neben unserem Camp sassen Hirten mit ihren Ziegen, Schafen und Yaks – haarige Riesenkühe. Wie wir mit der Zeit bemerkten, wurden es immer wenige Tiere. Diese wurden wohl an die zahlreichen Köche verkauft.