Nach einer Woche Zusammenleben, bemerken wir immer mehr, dass Bob eine schwierige Person ist. Ich schätze ihn um die 60 Jahre. Er stammt ursprünglich aus Kanada, lebt aber schon seit über 20 Jahren in Laos. Er fängt schon morgens an Bier zu trinken und will uns ebenfalls dazu animieren. Auch ist für uns nicht klar, ob er erwartet, dass wir ihm Geld geben. Selbstverständlich wollen wir mindestens einen Unkostenbeitrag für Strom und Wasser bezahlen. Jeden Tag fordert er uns auf, Bier für ihn zu kaufen. Wir sind mit dieser Situation unzufrieden und besprechen mit ihm, dass wir ihm pro Paar und Monat 150 $ geben. Trotzdem fühlen wir uns je länger wir hier sind, nicht mehr richtig wohl. Er fordert viel. Sei es, dass er die meiste Zeit bei uns sitzt und erwartet, dass wir ihn unterhalten oder wir mit ihm Bier trinken. Wenn er für uns einkaufen geht, erwartet er zudem einige Biere als Dankeschön. Wir sind ihm für seinen Aufwand sehr dankbar. Aber das Gefühl, es ihm nie so richtig recht zu machen, trübt die Stimmung in der Gruppe. Wir bezahlen ihm pro Paar und Tag 5 $. Das ist gleich viel, wie wir bei Campingplätzen in Laos bezahlten.
6. April 2020
Wir diskutieren über die Verlängerungen der Visa. Das laotische Neue Jahr steht bevor und die Migrationsbehörde sei vom 10. April 2020 bis zum 20. April 2020 geschlossen. Ein Overstay koste pro Tag 10 $. Schlecht für uns, denn unsere Visa laufen während dieser Zeit aus.
Am Abend kommt dann Chris, der unsere Visa in der Hauptstadt verlängern könne. Sein Service koste pro Pass 30 $. Ab dem hohen Preis sind wir etwas schockiert. Denn für die Organisation der Visa in der Schweiz über unseren Visa Agenten zahlen wir weniger. Eigentlich wollen wir den Dienst nicht in Anspruch nehmen. Er bringt Bob so weit, dass dieser Angst bekommt und auf keinen Fall will, dass wir ohne gültige Visa bei ihm bleiben. Da wir Bob keine Probleme bereiten möchten, entscheiden wir uns, die 60 $ für unsere beiden Visa zu bezahlen. Dazu kommen nochmals 120 $ für die Verlängerung der Visa um einen Monat für beide Pässe. Wir sind leicht genervt. Denn wir wussten nicht, dass Bob hinter unserem Rücken Chris angerufen hat. Wir sind sicher, wir hätten die Verlängerungen auch selber organisieren können. Im Nachhinein erfahren wir dann auch, dass die 10 $ für den Overstay nicht verrechnet worden wären und wir die Visa nach dem Lockdown hätten selber verlängern können.
7. April 2020
Am Vormittag kommen Leute vorbei. Wir wissen nicht, wer sie sind. Weil Bob nicht da ist, gehen sie vorerst wieder.
Als sie am Nachmittag erneut kommen, erfahren wir, dass es Polizisten aus dem Dorf sind. Sie setzen sich zu uns an den grossen Tisch und diskutieren mit Bob auf Laotisch. Wir verstehen nichts und Bob übersetzt uns vorerst überhaupt nichts. Wir fühlen uns ausgeliefert und die Stimmung ist angespannt. Sie nehmen unsere Personalien auf, wollen unsere Pässe aber nicht sehen. Sie schreiben somit alle Namen phonetisch auf und ohne Passnummer. Ein wenig fühlen wir uns auf den Arm genommen. Das ganze Spektakel erscheint uns wenig professionell. Wir fühlen uns nicht wohl in dieser Situation. Seit über einem Jahr sind wir nun unterwegs und haben bis anhin alles selber für uns geregelt, auch in schwierigen Situationen und mit Personen, die kein Englisch sprechen. Dass nun über unsere Köpfe hinweg mit Offiziellen gesprochen und entschieden wird und wir davon nichts verstehen, gefällt uns überhaupt nicht.
Am selben Abend kommen dann die Polizisten aus dem Distrikt. Wie schon am Nachmittag diskutieren auch sie mit Bob auf Laotisch. Wir verstehen wieder einmal kein Wort und Bob übersetzt uns auch nichts. Er macht uns einzig zu verstehen, dass die Situation schwierig sei und wir hier nicht bleiben könnten. Wir müssten noch am selben Abend weggehen. Nach Diskussionen zwischen Bob und den Polizisten können wir wenigstens über Nacht bleiben, müssen aber am nächsten Morgen und 9 Uhr weg sein. Wir fangen an, unser Camp zu räumen und die Autos abfahrbereit zu machen. Wir organisieren uns und nehmen Kontakt mit diversen Hotels auf. Mittlerweile seien viele ja wegen der Krise geschlossen. Wir finden ein Eco Resort, das uns aufnehmen möchte. Dort dürften wir in unseren Autos schlafen und müssten dafür 6 $ bezahlen. Bei Bob bezahlen wir 5 $. Hinzu kommen bei Bob jedoch weitere Kosten, wie beispielsweise ein Dankeschön für das Einkaufen von Essen.
Verunsicherte uns anfangs das Wegschicken der Polizei noch, entpuppt sich dies nun als gute Chance für uns. Wir sind alle aufgeregt und freuen uns, den Standort wechseln zu können. Die Bewertungen des Resorts sind gut, der Inhaber ist sehr hilfsbereit und der Preis stimmt für uns.
Bob ist mitterweile weggefahren, um nochmals mit den Polizisten vom Distrikt zu sprechen. Er meinte, er versuche zu verhandeln, dass wir bleiben könnten. Vielleicht würde das etwas kosten. Wir sind von der ganzen Situation überfordert und überrumpelt.
Nachdem er weggefahren ist, besprechen wir, dass wir kein Geld zahlen werden. Wir gehen davon aus, dass wir dann immer wieder bezahlen müssen. Als er zurück kommt und sagt, er habe eine gute und eine schlechte Nachricht, gehen wir alle davon aus, dass er einen Preis verhandelt hat und wir nun darüber diskutieren werden. Leider nein, denn er hat bereits 40 $ bezahlt, dass wir bleiben dürfen. Zum Laotischen Neujahr müssten wir der Polizei als Dankeschön eine Kiste Bier, Kaffee und Schnaps schenken. Die Stimmung kippt. Niemand freut sich über den Ausgang seiner Verhandlung und alle sind ein wenig schockiert ob Bobs Entscheidung ohne uns einzubeziehen. Er erzählt voller Stolz, er sei mit 200 $ losgefahren, hätte aber nur 40 $ bezahlen müssen. Hätte er wohl 200 $ bezahlt, ohne uns zu fragen? Bob bemerkt, dass wir nicht wirklich glücklich sind.
8. April 2020
Am Morgen bringt Bob unsere Passkopien zu der Distriktpolizei. Er kommt zurück und erzählt, er habe nochmals 10 $ bezahlt. Wir diskutieren ohne Bob, wie wir wohl aus dieser Situation kommen können. Unser Problem ist der Checkpoint direkt vor Bobs Grundstück den es nur wegen uns gibt.
Weil niemand Bob sagt, dass wir den Polizisten kein Geld mehr bezahlen möchten, nutze ich die Gelegenheit bei einem Gespräch. Er hört leider nicht richtig zu und wird laut. Wir seien undankbar und könnten uns nicht entscheiden, was wir wollten. Mehrmals schreit er mich an: „Fuck off“. In seinen Augen haben wir seinen Verhandlungen zugestimmt. Tatsächlich hatten wir selber aber keine Entscheidungsmöglichkeiten und wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. Wir wurden zu keinem Zeitpunkt gefragt, was wir wollen. Bis gestern Abend gingen wir davon aus, dass wir das Grundstück verlassen müssten, weshalb wir uns auf die Suche nach Alternativen machten.
Bob gibt uns zu verstehen, wir sollen verschwinden. Wir wollen selber auch so schnell wie möglich weg von hier, denn solche Wutausbrüche wollen wir uns nicht gefallen lassen. Wir packen alles zusammen und fahren Richtung Strasse los. Als wir am Tor sind, bekommt Bob einen Anruf, dass wir das Grundstück nicht verlassen dürfen. Die Dorfpolizei habe von der Distriktpolizei die Anweisung erhalten, dass wir nicht gehen dürfen. Wir sind verärgert, entmutigt und enttäuscht. Wir gehen zurück zu Bob. Die Stimmung ist schlecht.
Ben ist bei Bob zu Besuch und versucht uns zu helfen. Die Dorfpolizei kommt nochmals vorbei, um mit uns zu reden. Bob benimmt sich unmöglich. Er schimpft über uns bei der Dorfpolizei. Weil die Gespräche selbstverständlich wieder auf Laotisch geführt werden, verstehen wir nichts, erkennen aber gut, worum es geht. Die Situation ist unangenehm und es ist schwierig, ruhig zu bleiben. Ben versucht, Informationen zu erhalten. Es gebe momentan keine Möglichkeit für uns, das Dorf zu verlassen. Wir erfahren, dass Bob bei der Distriktspolizei am Abend zuvor einen Vertrag unterschrieben habe, dass wir zu seiner Familie gehörten und er für uns zuständig sei. Im Gegenzug dürften wir sein Grundstück nicht verlassen. Gemäss Vertrag dürfen wir auch in kein Krankenhaus gehen. Wenn wir krank würden, käme ein Arzt vom Dorf vorbei und würde weiter entscheiden. Ich mit meiner chronischen Krankheit kann dies nicht akzeptieren. Das ist viel zu gefährlich für mich. Die deutsche Botschaft rät sogar davon ab, in ein öffentliches Krankenhaus zu gehen, weil die Ärzte schlecht ausgebildet seien. Ich will nicht wissen, was ein Dorfarzt zum Arzt qualifiziert. Bis anhin dachten wir, dass Bob die Offiziellen «nur» geschmiert habe. Von einem Vertrag war nie die Rede. Wir können es nicht fassen, dass er in unserem Namen einen solchen Vertrag abschliessen konnte und damit unsere Bewegungsfreiheit derart eingeschränkt hat.
Als Bob am Nachmittag schlafen geht, gibt uns Ben den Ratschlag, einfach wegzufahren. Wir getrauen uns dies jedoch aufgrund der Strassensperre direkt vor dem Grundstück nicht. Bob redet kein Wort mehr mit uns und ignoriert uns vollständig. Er will uns weder helfen, die Situation zu regeln, noch will er uns weiterhin mit Essen versorgen. Wir haben zurzeit aber alle noch genügend Vorräte und Ben hat angeboten, uns zu helfen. Wie lange Ben jedoch noch zu Bobs Grundstück fahren darf, wissen wir nicht. Denn es scheint, als ob die Ausgangssperre in Laos strikter würde.
Lea und Mel aus Frankreich sind in Kontakt mit der französischen Botschaft. Wir hoffen, dass wir mit einem offiziellen Dokument von der Botschaft, wie zum Beispiel einem Laissez-Passer, den Ort verlassen dürften.
Es war ein langer, aufreibender Tag und wir gehen alle früh schlafen.
9. April 2020
Wir schreiben der Schweizer Botschaft und erklären unsere Situation. Wir fühlen uns bei Bob nicht mehr sicher. Er hat die letzten Tage oft Besuch erhalten und die Hygienemassnahmen nicht eingehalten. Vom Vertrag mit der Polizei hätten wir nichts gewusst. Unser Gastgeber habe diesen Vertrag unter Falschangaben, dass wir zu seiner Familie gehören würden, ohne unser Einverständnis abgeschlossen. Wir dürften nicht ins Krankenhaus gehen, wenn wir krank würden. Damit seien wir nicht einverstanden, da ich eine chronische Krankheit habe.
Dem Vertrag mit den Polizisten hätten wir niemals zugestimmt. Wir unterstützen weder illegale Herangehensweisen (Angabe, dass wir zu seiner Familie gehören), noch schmieren wir Offizielle mit Geld oder Geschenken. Niemals seit wir unterwegs sind, mussten wir zu solchen Mitteln greifen und wollen dies auch weiterhin nicht tun. Korruption wollen wir keineswegs unterstützen. Uns macht es wirklich sehr zu schaffen, dass Bob über uns bestimmt. Er wiederum versteht unser Problem nicht. Er gibt lediglich uns die Schuld. Wir seien undankbar und das sei ja in unserem Sinne gewesen.
Wir wissen, dass die Hygienemassnahmen im Eco Resort eingehalten werden und wir dort selber Lebensmittel einkaufen dürften. Unser einziges Ziel ist zurzeit, einen Ausweg aus dieser Situation zu finden und hier so schnell wie möglich wegzukommen.
Bob fährt mehrmals mit seinem Roller weg. Da er uns nichts erzählt, haben wir keine Ahnung, was er macht. Unsere grösste Hoffnung liegt darin, dass er uns nicht mehr bei sich haben möchte. Vielleicht setzt er alle Hebel in Gang, damit er seinen Schlamassel rückgängig machen kann.
Von der schweizerischen Botschaft erhalten wir eine Antwort. Sie werden uns bis morgen ein Laissez-Passer ausstellen. Sie können uns aber nicht garantieren, dass wir damit nach Vientiane in die Hauptstadt kommen werden. Wir bedanken uns für die rasche Hilfe und fragen nach, ob sie unsere vier Freunde ebenfalls auf das Schreiben setzen können. Denn die französische Botschaft hat Lea mittlerweile mitgeteilt, dass sie für sie keine Laissez-Passer ausstellen werden. Die schweizerische Botschaft hat uns trotz Nachfragen bis heute (25. April 2020, zwei Wochen später) weder ein Laissez-Passer ausgestellt, noch unsere zweite Mail beantwortet.
10. April 2020
Die Lage ist schwierig. Wenn man von der Zufahrtsstrasse Richtung Bobs Haus fährt, erreicht man nach ungefähr 200 Metern einen «Vorplatz». Dort steht ein einfaches Badezimmer, es hat einen Pizzaofen, einen Grill, einen grossen Tisch mit Bänken und einige Bäume. Unsere Autos stehen dort und wir leben dort. Neben diesem Platz ist ein kleiner See. Auf der anderen Seite des Sees ist Bobs kleines Haus. Er ist von uns über einen kleinen Weg von ungefähr 100 Metern entfernt. Vor der Eskalation war Bob den ganzen Tag bei uns, bis auf seinen Mittagsschlaf am Nachmittag. Seit Vorgestern lässt er sich nicht mehr blicken, ausser er muss die Zufahrtsstrasse hochfahren. Dann fährt er fünf Meter an unserem Auto vorbei, würdigt uns aber keines Blickes.
Schwierig ist, dass man mit ihm nicht diskutieren kann. Er ist aufbrausend und laut. Will man ihm erklären, dass er uns falsch versteht, flippt er aus. Wir sehen keine Möglichkeit, die Situation zu entschärfen. Er fühlt sich im Recht, ist schnell beleidigt und denkt, wir haben ihn hintergangen und sind ihm nicht dankbar.
Bobs weitere Feindseligkeiten gegen uns nehmen zu und wir entscheiden uns, dass wir gehen werden.