Die einzig internationale Grenze zwischen Pakistan und Indien ist die Wagah Grenze zwischen Lahore in Pakistan und Amritsar in Indien. Jeden Abend seit 1959 findet direkt an der Grenze eine Militärparade zur Schliessung dieser statt. Es wurden zwei Stadien für die Zuschauer auf beiden Seiten der Grenze gebaut. Die Parade zeichne sich durch eine übertriebene und überspitzte Ritualisierung aus. Obwohl wir uns auf diese Zeremonie freuten und sie fest eingeplant war, hatten wir nach dem Grenzübertritt morgens bei feuchter Hitze keine Lust, uns in der Nähe des trostlosen Grenzareals aufzuhalten und mehrere Stunden zu warten. Den Grenzübertritt haben wir schneller gemeistert, als erwartet. Dies war sicher auch den wenigen Leuten an der Grenze geschuldet. So waren wir auf pakistanischer Seite fast die Einzigen, welche die Grenze queren wollten. Pakistani – soweit man uns erklärte – erhielten nur ein Indienvisum, sofern sie enge Verwandte in Indien hätten.
Wir entschieden uns, die Zeremonie hinter uns zu lassen und weiter Richtung Amritsar zu fahren. Auf den Strassen waren Frauen alleine (!) unterwegs. Sie fuhren sogar Roller und trugen teilweise keine Kopftücher. Nach sieben Wochen Pakistan waren wir uns dies nicht mehr gewöhnt. In Amritsar organisierten wir uns als erstes eine SIM Karte. Eigentlich wollten wir eine Nacht in Amritsar bleiben, um die schöne Stadt zu besichtigen. Da wir aber alles viel schneller als gedacht erledigt hatten und es erst Mittagszeit war, fuhren wir gleich weiter Richtung Norden. Wir sehnten uns nach etwas Abkühlung und unser Freund, Roman, wartete auf uns in Manali. Der Weg dorthin führte uns über Bergstrassen durch Wälder, die teilweise von Affen besiedelt wurden. Hinter jeder Kurve bestand die Gefahr, dass eine Kuh am Wegesrand liegt oder die Strasse gerade überquert. In Indien sind Kühe heilig. Man gab uns den Rat, fährt nie eine Kuh an und wenn es doch passiert, verschwindet so schnell wie möglich. Die Kühe liegen immer wieder sehr gelassen am Wegesrand, grasen oder queren die Strasse. Die Leute schenken ihnen kaum Beobachtung. Wir müssen uns jedoch zuerst an diese neue Gefahr gewöhnen. Auch behandeln die Inder streunende Katzen und Hunde gut. Die gehören total zum Strassenbild, auch in den Dörfern, dazu und sind immer auf den Strassen unterwegs oder sonnen sich mitten auf dieser. Wir finden das schön und haben schon einige Male fast einen Hund oder eine Katze adoptiert. Wäre nicht Marco, hätten wir wohl schon einen Kleintierzoo im Wagen.
In Old-Manali – einem kleinen Hippie-Backpacker-Dorf mitten in den Bergen – angekommen, hatten wir einen kleinen Kulturschock. Überall gab es Restaurants, Bars, Souvenirshops und sogar Alkohol wurde ausgeschenkt. Die Leute schlenderten durch die Gassen, sassen in Pubs und wir hörten Musik. So etwas haben wir seit dem Start unserer Reise kaum erlebt. Wir sehen viele ausländische Touristen. Nach Pakistan ist dies für uns speziell, so sieht man dort doch fast keine Ausländer. Uns gefiel der Ort so gut, dass wir uns dort glatt zwei Wochen einquartierten. Wir genossen die Zeit mit Roman und seiner Freundin Zofia sehr und liessen es uns richtig gut gehen. Wir übernachteten bei Raju im Manali, Yes Please Hostel und gingen mindestens zwei Mal pro Tag auswärts essen. Was für ein Leben wir doch haben! Wir trafen noch weitere Reisende in Manali, die wir teils schon früher auf der Reise kennengelernt hatten. Wir fühlten uns so richtig zu Hause.
Nach knapp zwei Wochen waren wir wieder so gut erholt, dass wir richtig Lust auf die Weiterreise hatten. Der Rohtang Pass Richtung Norden war jedoch wegen der vielen Regenfälle (Monsunzeit) gesperrt. Viele Erdrutsche machten ihn unpassierbar. Wir sassen für einige Tage in Manali fest. Viele Strassen und Brücken Richtung Süden waren weggespült. Einen Tag nachdem der Pass geöffnet wurde, wagten wir uns auf den Weg weiter ins Himalayagebirge. Vielleicht hätte sich ein wenig mehr Geduld ausgezahlt. Wir sassen bestimmt fünf Stunden im Stau fest.
Kurz nachdem wir in Indien ankamen, hob die indische Regierung den Sonderstatus für Jammu und Kaschmir auf und Ladakh – das früher zu J & K gehörte – erhielt den Status eines eigenen Bundesstaates Indiens. Kaschmir war abgesperrt und für uns nicht zugänglich. So entschieden wir, nicht den ganzen Loup über Srinagar in Kaschmir zu wagen, sondern uns auf Ladakh zu begrenzen. Für diesen Teil Indiens benötigt man eine Genehmigung, ein sogenanntes innerline permit, welches maximal 14 Tage gültig ist.
Ladakh ist buddhistisch geprägt und immer wieder sieht man buddhistische Kloster, Gebetsmühlen und Schreine. An vielen Essensbuden werden Momos angeboten. So stellen wir uns Tibet vor! Die Landschaft Ladakhs ist wunderschön. Anfangs dachten wir, wird wohl ähnlich wie in Pakistan sein, das liegt ja so nah. Wie wir uns getäuscht hatten. Ladakh besticht nicht durch seine hohen Berge, wie Pakistan, aber dafür durch seine hohe, offene Landschaft.
Wir waren meist auf über 4000m unterwegs und die Landschaft war oft unendlich weit. Und was Ladakh vom Norden Pakistans weiter unterscheidet, ist die Menschenleere. Wir fanden so viele Gegenden, wo wir kaum Menschen antrafen, in Pakistan nicht vorstellbar. Wir konnten endlich wieder campen, ohne durchgehend Besuch zu erhalten. Wir sahen unglaublich schöne Gebirgsseen. Der höchste Lag auf über 5000m. Um dorthin zu gelangen, mussten wir über abenteuerliche Strassen fahren, auf denen uns kaum jemand begegnete. Wir sahen lediglich einige Nomaden am Wegesrand und immer wieder entdeckten wir Skelette von Tieren. Am See angekommen, waren wir die einzigen Personen weit und breit. Das war auch ein wenig beängstigend. Wir fragten uns, ob hier wohl Leoparden und Bären Jagd auf Beute machen. Der Ausblick auf die umliegenden Berge und die Landschaft war aber so unbeschreiblich schön, dass wir diesen Gedanken schnell vergassen. Leider war die Nacht und der Morgen danach so kalt, dass wir entschieden, weiter zu ziehen. Auf 5000m war die Luft zudem so dünn, dass wir zugegebenermassen ein wenig Mühe mit dem atmen hatten. Wir beide hatten eine nicht so erholsame Nacht, weil wir immer wieder aufwachten und tief atmen mussten. Dies trug auch zu unserem Entschluss bei, in etwas tiefere Lagen zu ziehen.
Ein weiterer Höhepunkt der Rundreise war ein Besuch im Kloster Thiksey. Wir campten auf einem Hügel gegenüber des Klosters und hörten immer wieder die Blasklänge, die zum Gebet riefen und danach die monotonen Mönchsgesänge. Wir wussten somit, wann die Gebete beginnen würden und machten uns eines Morgens gegen sieben Uhr auf zum Kloster. Beim Hochsteigen der Treppen hörten wir die Mönchsgesänge immer klarer und wurden immer neugieriger. Wir durften den Tempel betreten, uns in eine Ecke sitzen und der morgendlichen Puja (Morgengebet) beiwohnen. Die Mönche sassen auf ihren Podesten auf den Teppichen und meditierten vor sich hin. Zwischendrin bliesen sie immer wieder einmal energisch in ihre Muscheln und schlugen auf Trommeln ein. Was für ein überwältigendes Erlebnis. Wir sassen bestimmt zwei Stunden dort und beobachteten. Besonders witzig waren die Klosterschüler. Einer davon war wohl erst etwa fünf Jahre alt. Sie machten immer wieder Faxen und tuschelten miteinander. Wir fanden schön, dass sie wie normale, aufgeweckte Jungs wirkten. Jetzt wo wir hier über dieses Erlebnis schreiben, bemerken wir erst, wie schwierig es in Worte zu fassen ist. Die Stimmung war wirklich unbeschreiblich beruhigend. Eine Touristin war so überwältigt, dass sie nicht aufhören konnte, zu weinen.
Wir fuhren über unzählige Gebirgspässe. Unter anderem über den Kardung La, einer der Höchsten der Welt. Anscheinend wird dieser Pass ganzjährig fahrbar gehalten. Wir können uns nicht vorstellen, diese Strasse bei Schnee und Eis zu fahren. Dies muss wahnsinnig gefährlich sein. Davon zeugen wohl auch die vielen Lastwagen, die am Hang liegen. Wir genossen die Aussicht und sind froh, dass wir die Pässe unbeschadet überstanden haben.
Auf dem Rückweg Richtung Manali mussten wir wieder den Rohtang Pass überqueren. Als wir Richtung Passspitze fuhren, sahen wir wie Nebel über die Bergspitze zog. Wir wussten noch nicht, was uns erwarten würde. Oben angekommen und den ersten Blick hinunter geworfen, sahen wir auf ein Wolkenmeer. Wir waren über der Wolkengrenze, um uns herum Berge. Wir entschieden uns, obwohl es schon spät nachmittags war, weiterzufahren und hofften, vor Sonnenuntergang unten in Manali zu sein. Wir machten die Rechnung aber nicht mit dem schlechten Strassenzustand. Wir hatten wohl vergessen, wie schlecht sie war, als wir den Pass vor zwei Wochen hoch fuhren. So mussten wir einen grossen Teil der wirklich schlechten Strasse im Dunkeln fahren. Wir meisterten dies aber souverän und kamen fix und fertig in Manali an. Kaum konnten wir das Tor zu Rajus Hostelparkplatz erkennen, wurde es auch schon geöffnet und uns zugerufen. Wir wurden herzlich willkommen und waren froh, heil angekommen zu sein.